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Professor Muhammad Yunus fing mit 27 Dollar Kleinstkredit, verteilt auf 42 arme Familien, an. Inzwischen konnten durch seine Initiative weltweit 12 Millionen völlig verarmte Menschen solche Minikredite in Anspruch nehmen und sich dadurch mit einfachen hingen selbständig machen. Einer der Leitsprüche von Prof. Yunus lautet: "Wenn die Umstände nicht so sind, dass Sie Ihre Ideen verwirklichen können, dann ändern Sie die Umstände!" Das tut er nachhaltig. Das Interview mit ihm und das Zuhören bei seinen Vorträgen war die reine Freude. |
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Muhammad Yunus beim Interview-Termin in München |
Mit am beeindruckendsten an der Geschichte von Muhammad Yunus ist für mich zu sehen, wieviel ein einzelner Mensch auf der Welt bewirken und verändern kann. Franz Alt, der bei der Chancen-Konferenz/der Initiative TERRA One World Network im Stuttgarter Rathaus am 22. Febuar 1999 ebenfalls dabei war, formulierte es treffend: »An Prof. Yunus sieht man, dass man nicht Bundeskanzler sein muss, um die Welt zu verändern. Es ist im Gegenteil so, dass WIR DIE bewegen müssen, ansonsten bewegt sich gar nichts.« Das Zweite, was mich sehr an Muhammad Yunus beeindruckt hat, ist seine sagenhaft gute Laune und der orientalische Erzählstil, mit dem er von den Entwicklungen der Grameen-Bank erzählt. Dieser Mann denkt ganz offensichtlich in Lösungen und nicht in Problemen. Und er hat Spass und viel Vergnügen dabei. Letzteres gibt im ganz offensichtlich die Kraft, viel kreativer zu sein und viel weiter zu kommen als alle die Leute, die ihren Focus zu sehr auf Problemen und möglichen Hindernissen haben. Im folgenden die interessantesten Nachrichten aus seinem frisch erschienenen Buch (Grameen - eine Bank für die Armen, eine Autobiographie), den Vorträgen und dem Interview: Bangladesch ist ein Land mit einer Analphabetenrate von 90 Prozent. 40 Prozent aller Bangladeschis leben unterhalb des Existenzminimums. Die Bevölkerungsdichte des Landes beträgt 830 Einwohner je Quadratkilometer. Eine solche Dichte erhielte man in Europa nur dann, wenn man die Bevölkerung Englands, Frankreichs und Irlands auf dem Gebiet Bayerns zusammenpferchen würde. Muhammad Yunus, selbst ein Bangladeschi, war 1974 Dekan der Wirtschaftsfakultät einer Universität im Südosten des Landes. In diesem Jahr brach eine sehr grosse Hungersnot über das Land herein und der Flüchtlingsstrom verhungernder Menschen in die Städte wurde immer drastischer. Schliesslich lagen mitten auf den Strassen die Toten herum und es wurden immer mehr. Angesichts solcher Zustände fragte sich Muhammad Yunus ernsthaft, welchen Sinn seine theoretischen Vorträge über wirtschaftliche Vorgänge und Beträge von Millionen und Milliarden Dollar machten, wenn die reale Wirtschaftslage des Landes so aussah, dass die Leute zu Tausenden verhungerten. Er wollte konkret etwas unternehmen und begab sich zu diesem Zweck in ein nahegelegenes Dorf, in dem ebenfalls sehr grosse Armut herrschte. Er wollte vor Ort herausfinden, was er für diese Leute tun könnte. Yunus berichtet: »Ich traf dort eine Frau, die einen Bambusstuhl herstellte. Ich fragte sie, wieviel sie damit verdiene. Zuerst konnte ich es gar nicht glauben, wie arm diese Frau war, denn sie leistete wirklich gute Arbeit. Sie sagte mir, dass sie pro Tag nur einige Cents verdiente, weil sie kein eigenes Geld hatte, um Bambus zu kaufen. Sie musste sich beim Bambushändler Geld leihen. Dadurch war sie ihm ausgeliefert und musste jeden Preis akzeptieren. Praktisch war sie eine Sklavenarbeiterin. Das Bambusmaterial für eine Stuhl hätte nur 22 Cents gekostet, aber sie hatte es nicht. Ich war total geschockt, Während ich in meinen Vorlesungen von Millionen und Milliarden sprach, hatte diese Frau nicht einmal ein paar Pfennige, um ihr Bambusmaterial zu kaufen. Ich ging dann durch ihr Dorf und machte eine Liste von Leuten, die auch Geld gebraucht haben. Auf meiner Listen standen schliesslich 42 Namen. Diese 42 Leute benötigten zusammen nur 27 Dollar. Ich habe dann diese 27 Dollar den Leuten als Darlehen aus meiner eigenen Tasche geliehen. Die Menschen waren sehr glücklich darüber. Bis dahin wusste ich gar nicht, mit welch kleiner Summe man so vielen armen Menschen Glück und Wohlstand bringen kann, Daraufhin habe ich die Bank gefragt, ob ' diese Menschen keine Kredite bekommen könnten. Die Bank sagte »nein«. Die Armen seien nicht kreditwürdig. Ich wollte aber wissen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gibt. Ich habe selber Geld bei der Bank geliehen, habe mich selber als Bürge angeboten und habe es den armen Leuten weitergeliehen. Und die haben es pünklich zurückbezahlt. So also hat damals alles angefangen.« Heute hat die Grameen-Bank Bangladesch 2,3 Millionen Kunden und 98% zahlen überpünktlich ihre Raten. Yunus sagt dazu: »Die meisten Banken arbeiten mit einer »Geld-Apartheid«. Sie leihen den Reichen, und die Armen haben kein Recht, Geld zu bekommen. Aber wenn sie eine Chance haben, zahlen sie ehrlicher zurück als die Wohlhabenden.« Sein Verhältnis zu traditionallen Geldinstituten charakterisiert er so: »Wir haben uns angesehen, wie die anderen Banken arbeiten und dann das genaue Gegenteil davon gemacht.« Yunus wird inzwischen als Mann gefeiert, der die Armut besiegt. Der US-Präsident Bill Clinton schlug ihn für den Nobelpreis vor. |
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Die Grameen-Kundin Gngajali aus Uttar Pradesdh, Indien, zählt ihren ersten Kredit nach. |
Yunus erkannte bei seinen verschiedenen Feldstudien in Bangladesch insbesondere, dass vor allem Frauen, die um Leben und überleben ihrer Familien kämpfen, vorrangig in den Genuss der Förderung kommen sollten. Die Rückzahlungsmoral von Frauen ist weit besser und die Gefahr, dass das geliehene Geld für blosse Statussymbole verschleudert wird, weit geringer. Er lacht vergnügt vor sich hin, wenn er von den Widerständen gegen diese Vorgehensweise im eigenen Land berichtet. In Bangladesch ist - bisher zumindest - die Frau besonders in den armen Familien auf dem Land quasi ein Niemand gewesen, der nur dem Ehemann folgte. Sie hatte keine eigene Meinung und hat in vielen Fällen Geld noch nicht einmal selbst in den Händen gehabt. Nun erscheinen die Mitarbeiter der Grameen-Bank selbst in den abgelegendsten Landstrichen in diesen Dörfern und wollen die Frauen sprechen. üblicherweise kommen die Männer den Fremden entgegen und die Frauen halten sich bedeckt im Hintergrund. Aber diese merkwürdigen Grameen-Leute wollen die Männer gar nicht sprechen. Sie bieten stattdessen den Frauen Geld. Die Männer sind als allererstes beleidigt, wie eine Bank dazu kommt, dem Niemand in ihrer Familie Geld zu bieten, und sie selbst als Haushaltsvorstand bekommen kein Geld angeboten. Am meisten wettern natürlich die herkömmlichen Geld-Verleiher mit ihren Wucherzinsen dagegen. Aber auch das Vertrauen der Frauen muss stückweise errungen werden. Zunächst sind sie völlig perplex und verwundert. »Was ich? Aber ich weiss doch nichts und kann doch nichts. Ich habe doch noch nie Geld in den Händen gehabt?!« »Wunderbar, genau dich suchen wir«, antworten dann die Mitarbeiter der Grameen-Bank und die Frauen hören verwundert zu. Sie müssen sich, das ist eine feste Bedingung bei Grameen, in Gruppen zu fünft zusammentun, wenn sie schliesslich einen Kredit in Anspruch nehmen möchten. Den Kredit bekommt zwar jede einzeln, aber durch diese Gruppensolidarität möchte Muhammad Yunus sicherstellen, dass keine Frau leichtfertig Kredite aufnimmt, die sie dann nicht zurückzahlen kann. Denn wenn beispielsweise eine Frau zu den anderen vieren sagt, sie möchte eine Ziege kaufen, dann fragen die Freundinnen als erstes, wem sie denn die Milch verkaufen werde. Gibt es Nachbarn, die einen echten Bedarf daran haben und die die Milch auch bezahlen können? Weder Yunus noch seine Mitarbeiter verteilen schlaue Ratschläge. Die Frauen sollen ganz nach ihren eigenen Ideen kreativ werden können. Es werden immer nur Fragen gestellt. Die härtesten Fragen kommen von den Frauen aus der eigenen Gruppe. Auf diese Weise ist keine Frau mit dieser, für sie völlig neuen Situation, alleine gelassen und die neuen Geschäftsideen werden wirklich auf ihre Praktikabilität hin überprüft und durchdacht. Als nächstes muss sie oft den Widerstand ihres Mannes überwinden, der nicht nur beleidigt ist, sondern sich auch Sorgen macht. Er hat seine Frau in der Tradition des Landes als einen Niemand kennenlernt und nun befürchtet er, dass sie diese Aufgabe nicht bewältigen wird und dass schliesslich die Bank zu ihm kommen und das Geld zurückfordern könnte. Und er hat es ja genausowenig wie seine Frau. Muhammad Yunus sagt dazu: »Jeder Mensch hat ein unbegrenztes Potential. Der Bettler am Wegesrand hatte nur noch keine Chance, sein Potential zu demonstrieren. Weder sich selbst hat er es demonstriert, noch der Umwelt.« Und so wissen auch die Männer aus Bangladesch noch nichts vom Potential ihrer Frauen. Yunus schmunzelt wieder voller Vergnügen, wenn er in seinem einfachen, aber prima verständlichen Englisch von solch einem typischen Ehemann berichtet: »Every week he is expecting big disaster, but it doesn't co-me...« (Jede Woche, wenn die Zinsen fällig werden, erwartet der Ehemann ein grosses Disaster, aber dieses kommt nicht.) Wenn die Ehefrau schliesslich ein ganzes Jahr lang jede Woche pünktlich ihre Raten zurückgezahlt hat, dann hat sich in diesem Jahr meist auch viel in der Familie und im ganzen Dorf geändert. Letztlich lernen die Ehemänner durch diese Kredite ihre Frauen völlig neu kennen und entdecken bisher nie gekannte Seiten an ihnen. Aus dem Niemand ist ein Jemand geworden, der die Familie ernährt. Das veränderte zunächst die Familien, dann das Dorfleben und beeinflusste schliesslich die Politik im ganzen Lande. Denn Muhammad Yunus riet seinen Kundinnen immer wieder, bei Wahlen im Land mitzuwählen. Die Wahlbeteiligung war mit 53% ziemlich niedrig und es gingen auch doppelt soviele Männer wie Frauen wählen. Grameen wollte das ändern. Doch zunächst sträubten sich die Frauen. Die Politiker des Landes seien alle Teufel und es sei völlig sinnlos wählen zu gehen, meinten sie. Dann sollten sie eben die kleinsten Teufel unter den Teufeln wählen gehen und nicht zulassen, dass die grössten Teufel regieren, war die Antwort von Yunus. Anfang der 90iger Jahre gingen bereits eine grosse Zahl von Grameen-Kunden mit ihren Familien zum Wählen und es zeigten sich erste änderungen im Wahlergebnis. 1996 nahmen die Grameen-Kundinnen, ermutigt durch dieses Resultat, auch ihre Nachbarn und sämtliche Verwandten zur Wahl mit und erstmals schrumpfte die Zahl der Sitze der konservativen Partei von 17 auf nur noch 3. Die Wahlbeteiligung 1996 betrugt statt der bisher üblichen 53% auf einmal 73%. Neues Selbstvertrauen der Armen ändert die Landes-Politik Einmal soweit gekommen, überlegten sich die Grameenbank-Mitglieder (Genossenschaftsprinzip): »Warum sollen wir eigentlich weiterhin nur die kleinsten Teufel wählen gehen? Wir sind gute Leute und wir können doch auch selber kandidieren...« Ein Jahr später, nämlich 1997, kandidierten 4000 arme Bangladeschis aus Grameen-Kunden-Familien (davon 50% Frauen und 50% Männer) bei den regionalen Wahlen. Eine Sensation für Bangladesch. Seit die Frauen mehr Selbstbewusstsein, mehr Verantwortungsgefühl und ein eigenes Einkommen haben, sinkt auch die Zahl der Geburten pro Frau erheblich und es wird auf einmal ernsthaft verhütet. Stattdessen werden immer mehr Kinder in die Schule geschickt. Mittlerweile gehen schon 15.000 Grameen-Kinder auf die höhere Schule. Bei einer Analphabetenräte von bisher 90 Prozent ist auch das ein Riesenfortschritt. Und alles begann letztlich mit 27 Dollar Kredit an 42 Familien. Aber damit ist der Kreativität von Gra-meen noch lange kein Ende gesetzt. Vor zwei Jahren gründeten sie eine eigene Telephongesellschaft, die Grameen Telecom, mit der Hilfe von Telenord, Norwegen. Bangladesch hat 127 Millionen Einwohner und bisher zirka 400.000 Telefone. Yunus hatte sich nun in den Kopf gesetzt, den ärmsten Frauen auf den entlegenen Dörfer Handys zu geben. Natürlich mal wieder - wie er berichtet - zum fassungslosen Entsetzen der Konservativen und Reichen des Landes. »Spinnst du jetzt ganz«, fragten diese ihn. »Was sollen denn die armen Frauen mit einem Handy? Die können doch weder so ein Ding bedienen, noch die Tasten lesen und wen sollen sie denn überhaupt anrufen?« Muhammad Yunus kann nur schelmisch den Kopf schütteln über soviel unkreatives Gedankengut. Natürlich sollen seine Telefon-Ladys, wie sie inzwischen heissen, in der Regel gar niemanden anrufen. Sie eröffnen statt dessen ein neues Business mit einem regionalen Telefonservice. Sie vermieten das Handy an jeden, der sich durch einen Anruf weite Reisen oder langwierige Postwege ersparen möchte. Erstens wird die Kommunikation verbessert, was auch weitere Geschäftsmöglichkeiten eröffnet und die Entwicklung im ganzen Land beschleunigt. Ausserdem kann aber auch schnellere Hilfe bei Disastern ermöglicht werden. Bisher hat die Grameen-Telefongesellschaft 35.000 Mobiltelefone ausgegeben und 250 davon an die neuen Telefon-Ladys in entlegenen Dörfern. Bis zum Ende des Jahres 1999 sollen es 1000 Telefon-Ladys sein und in 5 Jahren 40.000. Damit will er der Entwicklung des Landes entscheidend auf die Sprünge helfen. In Bangladesch macht der Einsatz von Handys wirklichen Sinn, da es auf dem Land noch nicht einmal Strom, geschweige denn Telefonleitungen gibt. Und dort klemmt sich auch niemand das Mobiltelefon stundenlang ans Ohr, schon allein, weil es sich niemand leisten kann. |
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Muhammad Yunus bei der Chancen-Konferenz im Stuttgarter Rathaus im Frühjahr 1999, rechts: Nancy Wimmer, European Microcredit Support und Vorsitzende von TERRA |